Katholische Kirche: Engagiert und kritisch
Kölner Stadt-Anzeiger, 24. April 2013
Rhein-Berg – Die katholische Kirche kommt nicht aus den Schlagzeilen heraus. Und ich, ehrenamtlich in der katholischen Kirche aktiv, führe ein Bewerbungsgespräch mit einer überparteilichen, nicht-konfessionellen Stiftung. Ich habe mich um ein Stipendium beworben.
Das Auswahlgespräch mit einer Chemikerin, die früher auch von der Stiftung gefördert worden ist, läuft sehr locker. Natürlich kommen wir auf mein Engagement in der Gemeinde zu sprechen. Stolz berichte ich, wie viel Spaß mir die Jugendarbeit bei den Messdienern macht. Interessiert hört die Chemikerin zu. Dann schaut sie mich eindringlich an und fragt mit einem kritischen Unterton: „Bei all Ihrem Engagement: Wie stehen Sie eigentlich zur katholischen Kirche und den Berichten in den Medien?“
Die Frage steht einen Moment lang im Raum. Ich bin in Erklärungsnot. Mit einer solchen Frage habe ich nicht gerechnet. Mein Engagement wird einen guten Eindruck hinterlassen. Da war ich mir sicher. Doch nun soll ich es kritisch hinterfragen! Ich hätte mir vorher mehr Gedanken dazu machen sollen. Wie positioniere ich mich nun? Kann ich bei dieser Kirche Jugendarbeit überhaupt noch rechtfertigen? Kann es sein, dass die katholische Kirche inzwischen derart an Ansehen in der Gesellschaft eingebüßt hat, dass ein Engagement in der Kirche nicht mehr hoch geschätzt wird?
Sich mit der katholischen Kirche zu identifizieren, fällt auch mir, wie vielen anderen Jugendlichen, schwer. Abweisung von Vergewaltigten, Missbrauchsskandale und die Diskussion um das Zölibat sind dabei zwar in den Medien viel diskutierte und wichtige Themen, manchmal sind sie aber fern vom Glaubensalltag. Und nicht selten werden hierbei auch falsche Zusammenhänge gezogen, es wird verallgemeinert und sehr oberflächlich argumentiert.
Wütend macht mich dabei vor allem das verzerrte Bild, das von Jugendarbeit in der Kirche inzwischen verbreitet ist. Denn Missbrauch und Gewalt sind in katholischen Einrichtungen keineswegs häufiger als in Sportvereinen, in offenen Ferienfreizeiten oder in der eigenen Familie. Nur weil die katholische Kirche sehr viele Schulen, Gruppierungen und Jugendfahrten unter ihrem Dach zusammenfasst, fällt es auf sie verstärkt zurück, wenn Einzelne entsetzliche Taten begehen. Diese wurden in den vergangenen Jahren häufiger aufgeklärt, und das Thema ist in unserem Bewusstsein nun verankert. Prävention und Aufklärung haben in der katholischen Jugendarbeit inzwischen große Bedeutung. Jeder Jugendleiter muss eine spezielle Schulung belegen. Mit dem Thema wird heute offener umgegangen, es wird nicht mehr totgeschwiegen. Und das ist gut so!
Was mich jedoch wirklich beschäftigt, sind Widersprüche, in die die katholische Kirche sich mit vielen ihrer Positionen verstrickt. Oft zeigt sie keine Bereitschaft, sich zu wandeln: Warum müssen Kindergärtnerinnen, deren Ehe zerbricht, auch noch um ihren Arbeitsplatz in einer katholischen Einrichtung fürchten? Warum setzen sich Christen überall auf der Welt für Notleidende ein, die Benutzung von Kondomen, die viel Not in Entwicklungsländern lindern könnte, ist jedoch verrufen? Warum sollen vor Gott alle Menschen gleich sein, wenn in unserer Kirche dieser Grundsatz scheinbar nicht gilt?
Nicht nur das zwiespältige Handeln der Kirche macht es Jugendlichen schwer, sich wieder für die katholische Kirche und den christlichen Glauben zu begeistern. Das ganze Wesen der Amtskirche aus hierarchischen Strukturen steht im Gegensatz zu den Idealen und Vorstellungen, die unsere Gesellschaft heute prägen. Was wir in der Schule lernen, wie wir aufwachsen, wie wir leben, lässt sich nur noch schwer in Einklang mit Strukturen und Positionen der katholischen Kirche bringen. Die Institution scheint uns Regeln und Vorschriften machen zu wollen, ihre Gesetze sieht sie als absolut und unanfechtbar.
Dieser Eindruck drängt sich mir nicht nur durch die Berichte in den Medien auf: Ich habe den Jugendkatechismus „Youcat“, der 2011 auf Wunsch des Papstes an Jugendliche aus aller Welt beim Weltjugendtag in Madrid verteilt wurde, gelesen, um heraus zu finden, wie unsere Kirche heute „tickt“. Wie kein anderes Buch spiegelt es die Situation der Kirche wider: Es zeigt, dass die katholische Kirche damit zwar auf Jugendliche zugehen möchte, auf ihren alten, nicht mehr zeitgemäß wirkenden Positionen aber standhaft beharrt – und dies in einer präzisen Sprache sehr deutlich macht. Ein moderner, offener, aufgeklärter Jugendlicher, der sich nicht durch andere beeinflussen lassen, sondern seine eigene Position finden möchte, müsste konsequenterweise der katholischen Kirche den Rücken kehren, denn sie lässt wenig Spielraum für eine eigene Meinungsentfaltung.
Doch wenn ich mein Engagement rechtfertigen möchte, dann darf ich nicht an das Bild der Amtskirche denken. Denn die Gemeinden vor Ort sehen schon lange anders aus. Viele Gläubige stehen nicht mehr hinter der großen Institution. Hier in der Gemeinde, im Kleinen, findet der Glauben statt, und hier werden auch mal feste Positionen kritisch hinterfragt. Zwischen „der Kirche“ und „meiner Kirche“ wird gerne unterschieden. Auch viele Pfarrer lassen in ihren Predigten immer häufiger Kritik am Kurs der Kirche durchschimmern. Die Gemeinde spendet Beifall, wenn der Priester Patchworkfamilien anerkennt, Geschiedenen wieder die Kommunion austeilen möchte oder nach einer Vergewaltigung die „Pille danach“ als gerechtfertigt ansieht. Viele Menschen kehren der Kirche still den Rücken, doch damit ziehen sie sich nur aus der Affäre. Stattdessen müssten sie die Diskussion unter den Gläubigen anregen, dazu beitragen, dass ein Spielraum für Meinungsbildung geschaffen wird, in dem sich jeder offen entfalten kann.
Das würde die Kirche auch für Jugendliche wieder attraktiv machen, denn der wirkliche Kern der christlichen Botschaft hat an Aktualität nicht eingebüßt. Bewirken können die Gläubigen nur etwas, wenn sie ihre Meinung offen zeigen und für eine modernere und zeitgemäße Kirche einstehen. So schwierig das auch sein mag. Die Gemeinde und die Menschen vor Ort sind es, die mir in den Sinn kommen, als ich vor die Frage gestellt werde, wie ich zur katholischen Kirche stehe. Ich möchte mich nicht still und leise zurückziehen, weil ich mich nicht durchweg mit der Institution identifizieren kann. Vielmehr möchte ich mich weiter engagieren, gleichzeitig jedoch „meine Kirche“ hinterfragen und meine eigene Position finden.
Doch all diese Fragen, Gewissensbisse und Überlegungen in der Kürze des Auswahlgesprächs überzeugend herüberzubringen fällt mir schwer. „Ich sehe die Situation in der Kirche durchaus kritisch“, gebe ich zu bedenken. „Doch mir ist ein gutes Gemeindeleben wichtig, hier lebe ich meinen Glauben. Solange mich das erfüllt, sehe ich keinen Grund, aus der Kirche auszutreten.“
Ob ich die Chemikerin mit meiner Antwort überzeugen konnte? Ich weiß es nicht. Die Bewerbung war letztlich leider nicht erfolgreich.
Lukas B. Kohlenbach