Kinder- und Jugendpsychotherapie 

Chancen und Risiken der Online-Therapie

Deutschlandfunk, Sprechstunde, 16. April 2019
 

Per App zur besseren Psychotherapie? Online-basierte Angebote für Kinder können die Versorgung verbessern und Therapien effektiver machen – zum Beispiel, indem sie an Therapieaufgaben erinnern. Doch noch fehlen Qualitätsstandards – im schlimmsten Fall kann das zu falschen Selbstdiagnosen führen.

Von Lukas Benedikt Kohlenbach

Der 36. Bundeskongress der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie stand ganz unter dem Motto „Vernetzt!“. Nicht nur Vernetzung unter Teilnehmerinnen und Teilnehmern, unter Wissenschaftlern und Ärzten sondern auch innerhalb der Gesellschaft, zwischen Betroffenen und Gesunden etwa. Kongress-Präsident Professor Tobias Banaschewski forderte denn auch eine „gesamtgesellschaftliche Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen.“ Jenseits dieser grundsätzlichen Forderung standen neue Therapiekonzepte für Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt der Tagung.

Online-Therapieangebote könnten Versorgung verbessern

Heiß diskutiert wurden zum Beispiel online-basierte Angebote. Manfred Döpfner, Professor für Psychotherapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Köln, sieht darin viele Chancen: „Trotz der großen Anzahl von Dienstleistern, die wir im Bereich Psychotherapie haben, haben wir immer noch Probleme wirklich Bedarfsgerecht zu versorgen und eine Möglichkeit wäre, dass über die Nutzung des Internets, von computerisierten Interventionen und Therapieprogrammen tatsächlich die Versorgung verbessert werden kann, weil die Reichweite dann auch besser ist. Psychotherapie kann besser, mehr zu den Menschen kommen.“

Außerdem könne die Effektivität der Psychotherapie durch Zuhilfenahme digitaler Medien verbessert werden,  so Döpfner. Apps böten vielfältige Möglichkeiten wie Erinnerungen an Therapieaufgaben oder das Führen von Video-Tagebüchern.

Martin Holtmann, Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Ruhr-Uni in Bochum, hat bei diesem Thema allerdings Vorbehalte: „Meine Hauptsorge ist, dass in diesem Dschungel von Angeboten, die es im Augenblick gibt, also gerade von Apps, die frei verfügbar sind, es kaum Orientierung gibt, keine Qualitätsstandards gibt.“

Viele Apps beinhalten Fehler und führen zu  falschen Diagnosen

So hätten Untersuchungen gezeigt, dass viele Apps Fehler enthalten, die im schlimmsten Fall zu falschen Selbstdiagnosen führen. „Man muss glaub ich wirklich unterscheiden zwischen den Angeboten, die im  Rahmen von sozusagen seriösen Studien und so weiter entwickelt wurden. Und dann gibt es den vollkommen ungeregelten App-Dschungel, wo wirklich auch Dinge verfügbar sind, die ich für gefährlich halte.“, so Holtmann.

Auch um die Datensicherheit macht er sich Sorgen: „Das sind ja sehr intime Daten, die die Patienten, ihre Eltern da preisgeben. Also auf welchen Servern liegen die? Wer hat da Zugriff drauf? Kann ich die wieder löschen lassen?“ Er sei skeptisch, ob die neuen Therapieangebote wirklich zu einer verbesserten Versorgung führen. Nur in Zusammenarbeit mit „richtigen“ Therapeuten seien Onlinetherapien sinnvoll. Internetbasierte Angebote dürfen immer nur der verlängerte Arm klassischer Therapien sein. Ersetzen können sie diese nie.

Eine weitere Gefahr könnte sein, dass Krankenkassen online-basierte Therapieangebote nutzen, um Kosten zu senken. Martin Holtmann: „Es gibt einen Kostendruck, sowohl im ambulanten Bereich wie auch im stationären Sektor, den kann man auch nicht leugnen und ich glaube,  wir müssen uns auch als diejenigen, die forschen und entwickeln, gut überlegen, an welchen Stellen sozusagen geben wir Positionen auf und geben damit auch Inhalte auf, die unseren Patienten bisher zu Gute gekommen sind. Also wenn es darauf hinauslaufen sollte, dass wir am Ende eine billige Schmalspurtherapie anbieten, einfach weil die billiger ist, dann glaub ich ist das eine Gefahr für die Versorgung der Patienten!“

Staatliche Zulassungsverfahren sind notwendig

Martin Holtmann und Manfred Döpfner fordern staatliche Zulassungsverfahren für Therapie-Apps. Bei neuen Medikamenten sind die schon lange Standard. Das würde die Transparenz und Sicherheit der Angebote erhöhen.    

„Es müssen Studien da sein, die gute Anforderungen haben. Es muss gut kontrolliert werden, wer das macht. Es muss geguckt werden, wer da welche finanziellen Interessen hat auch in solchen Situationen. Dann müssen die Effekte der Interventionen geprüft werden, auch von unabhängigen Stellen. Also da gibt’s ganz viele Dinge, die wir eigentlich analog aus der Pharmaindustrie durchaus übernehmen können.“, erklärt Manfred Döpfner.

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