Selbstversuch – Ein Leben ohne Smartphone

Kölner Stadt-Anzeiger, 16. Januar 2013

Bergisch Gladbach – Als ich die Redaktionssitzung an diesem Donnerstag verlasse, beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Warum habe ich mich bloß dazu überreden lassen? Eine Woche ohne Handy – für einen Jugendlichen eine starke Herausforderung. Eine leichte Unruhe macht sich in mir breit. Wie halte ich nun Kontakt zu meinen Freunden? Was werde ich verpassen?

Und was ist mit all den nützlichen Apps, die mir meinen Alltag immer ein kleines Stück leichter machen? Doch ich fühle auch ein wenig Vorfreude, was dieses Selbstexperiment bringen wird. Gespannt mache ich mich auf den Weg nach Hause…

Donnerstag

Beim Abendessen bin ich unruhig. Noch weiß keiner, dass ich mein Handy in der Redaktion gelassen habe. Ich bin etwas besorgt. Was ist mit den Freunden, mit denen ich mich für Freitagabend verabredet habe? Sie sollten wissen, dass ich nicht mehr erreichbar bin. Meine kleine Schwester quengelt, dass sie ein Spiel auf meinem Handy spielen möchte. Ich werde sie eine Woche lang vertrösten müssen. Stattdessen spielt sie heute Monopoly mit meiner Mutter. Nach dem Essen lässt es mir keine Ruhe: Ich muss zu Facebook, meine Freunde informieren! Soll ich eine Statusmeldung schreiben, die alle lesen können? Ich entscheide mich dagegen und schreibe nur denen eine Nachricht, mit denen ich mich für den nächsten Tag verabredet habe.

Freitag

Heute schlaf ich erst einmal ein wenig aus. Als ich aufwache, fehlt irgendetwas in meinem Zimmer. Klar! Mein Handy, das sonst jede Nacht lädt, liegt nicht an seinem gewohnten Platz. Meinen Vater wird es freuen, wenn er die Stromrechnung sieht. Ganz in Ruhe kann ich frühstücken und Physik lernen. Keine ablenkenden Nachrichten, keine störenden Anrufe. Ich frage mich, wer heute Abend alles zu Besuch kommt. Hat jemand doch keine Zeit? Kommt jemand später? Ich weiß es nicht, und ich habe auch keine Möglichkeit, es in Erfahrung zu bringen. Mein Zimmer wird schließlich ziemlich voll: Es kommen drei mehr, als ich erwartet hätte. Ohne Handy ist das Leben voller Überraschungen!

Samstag

13 Uhr: Beim Mittagessen erholen Kinder und Leiter sich von den Strapazen der Sternsinger-Aktion. Den ganzen Morgen schon habe ich Kinder von Haus zu Haus begleitet und mit ihnen um Spenden für Kinder in Entwicklungsländern gebeten. Nun stärke ich mich mit Nudeln und Hackfleischsoße. Doch was ist das? Statt sich auszuruhen, spielen einige Kinder mit ihren Handys herum!

Beiläufig frage ich ein Kind, ob sie sich vorstellen könnte, eine Woche ohne Handy zu leben. Die Antwort: „Das geht ja gar nicht! Wer kann denn so was?“ Das Kind ist neun Jahre alt.

Sonntag

Messedienen in der Kirche: Etwas beunruhigt überlege ich, ob ich mein Handy auch wirklich auf stumm geschaltet habe. Da fällt mir wieder ein: Ich habe es ja gar nicht bei mir! Heute kann ich ganz gelassen die Messe verfolgen. Beim anschließenden Neujahrsempfang werden Termine besprochen. Jeder öffnet den Terminplaner auf seinem Smartphone. Ich muss mir die Termine heute wohl einfach merken.

Montag

Heute geht’s zur Uni. Ich muss früh raus. Meinen Stundenplan habe ich mir extra ausgedruckt, denn sonst weiß eine App auf meinem Handy immer, wann die nächste Vorlesung ist und erinnert mich auch daran, wenn ich dies einmal vergesse.
In der Bahn suche ich vergeblich meine Freunde, mit denen ich immer fahre. Eigentlich schreiben wir uns einfach gegenseitig, damit wir uns gegenseitig besser finden. Heute treffe ich dafür andere Bekannte.

11 Uhr: Die Physikvorlesung zieht sich ewig. Ich verspüre einen Drang, in meine Hosentasche zu greifen, mein Handy herauszuholen und mich anschließend wieder zu ärgern, dass das Netz im Hörsaal zusammengebrochen ist, weil alle anderen Studenten dieselbe Idee hatten. Mir bleibt keine Wahl. Ich muss dem Physikprofessor weiter zuhören. Vielleicht eine gute Entscheidung, so kurz vor der Klausur.

Nach der Vorlesung geht’s auf zur Mensa. Was es heute zu Essen gibt, bleibt für mich noch eine Überraschung, denn sonst bin ich dank Mensa-App schon immer bestens informiert. Heute werde mich spontan für ein Gericht entscheiden.
Während ich mein karibisches Curry-Huhn genieße, bricht ein Jubelgeschrei unter meinen Kommilitonen los. Die Ergebnisse der Biologie-Klausur sind gekommen – per E-Mail! Jeder zückt sein Smartphone und checkt seine Mails. Mein Tag wird nun von einer quälenden Ungewissheit geprägt sein. Dafür ist die Freude umso größer, als ich am Abend endlich zu Hause meine E-Mails abrufen kann.

Dienstag

In einer einsamen U-Bahn-Station finde ich einen unauffälligen Ständer mit Straßenbahnlinienplänen. Den muss die KVB wohl hier vergessen haben, denn wer braucht so etwas denn heute noch? Dank meinem Smartphone bin ich doch immer bestens informiert, wann meine Bahn fährt. Ich nehme mir dennoch einmal ein paar Linienpläne mit. Vielleicht werden sie mir diese Woche noch einmal nützlich sein.

Mittwoch

Lernen, lernen, lernen. Langsam habe ich echt keine Lust mehr. Den ganzen Tag sitze ich schon zu Hause herum und von meinen Freunden habe ich auch schon lange nichts mehr gehört! Wie denn auch? Ich beschließe, am nächsten Tag wieder in die Uni zu fahren, nur für eine Infoveranstaltung, die ich mir sicher auch sparen könnte. Doch ich verspüre Lust, wieder etwas unter Leute zu kommen. Wäre ich auch gefahren, wenn ich mein Handy gehabt hätte?

Donnerstag

Na, diese Infoveranstaltung hat sich ja mal gelohnt. Die Dozentin mit den wichtigen Informationen ist spontan erkrankt, nach fünf Minuten können wir wieder gehen. Was soll’s? Ich bin zwei Stunden Bahn gefahren, hab die Welt gesehen und mich nett unterhalten. Jetzt aber schnell wieder nach Bergisch Gladbach und dann ab zur Junge-Zeiten-Redaktionssitzung. Die Zeit ohne Handy wird mir nun wirklich langsam zu lang. Um 17 Uhr ist es dann wieder soweit: Ich halte das heiß ersehnte Gerät wieder in meinen Händen.

Beim Einschalten dauert es eine Zeit lang, bis die 200 verpassten Nachrichten empfangen sind. Es fühlt sich ein wenig so an, als ob ich eine Woche im Urlaub gewesen wäre. Und vielleicht ist es das auch: Die Woche ohne Handy war von einer ungewöhnlichen Ruhe geprägt – und von vielen kleinen und großen Überraschungen, die mir mein Handy nicht mehr vorwegnehmen konnte. Ich bin zwar froh, mein Handy nun endlich wieder zu haben. Doch am nächsten Tag hätte ich es fast zu Hause vergessen…

Lukas B. Kohlenbach

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